Über viele Jahre haben wir uns aneinander gewöhnt. Anfangs wurde meist das gemacht, was er wollte. Dann haben mir meine Eltern und Lehrer beigebracht, dass ein Affe erzogen werden muss, wenn es zu einem gedeihlichen Zusammenleben kommen soll. In endlosen Rangeleien wurde zwischen ihm und mir geklärt, wer von uns wann das Sagen hat. Nun aber kommt es immer öfter vor, dass er nicht mehr das tun will, was ich ihm auftrage. Vielleicht kann er nicht mehr, denn es sind viele Jahre ins Land gegangen und er ist – im Gegensatz zu mir - alt geworden.
Ich meine den Affen, in dem ich stecke, in dem ich gefangen bin und ohne den ich in unserer Welt, der Raum-Zeit, absolut hilflos wäre. Mit seinen Augen sehe ich die Dinge um mich herum. Ohne seine Ohren könnte ich mich nicht mit Anderen sprechen und keine Musik genießen und ohne seine Hände könnte ich nichts bewegen und niemanden streicheln. Es ist eine echte Symbiose zu beiderseitigem Nutzen.
Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich ihn zum ersten Mal sah: er stand mir direkt gegenüber, hinter der Spiegelglasscheibe. Er war etwas ungelenker als die, die mir meine Eltern im Zoo gezeigt hatten und seine Gesichtszüge waren etwas feiner. Und er hatte viel weniger Haare, im Gesicht, an den Armen und überhaupt.
Von diesem Tag an begann eine wunderbare Partnerschaft. Er half mir, Türen zu öffnen, und er bewegte für mich Dinge, die ich an einen anderen Platz stellen oder legen wollte. Lästig war anfangs nur, dass er immer dann müde wurde und keine Lust mehr hatte, wenn ich etwas ganz besonders interessant fand. Später wollte er manchmal unbedingt etwas, für das ich mich nicht sonderlich begeistern konnte. Nach und nach habe ich ihm aber überzeugen können, dass ich es bin, der von uns beiden letztendlich sagt, wo es lang zu gehen hat.
Viele Jahre lang ging das alles gut und wir lebten in großer Harmonie und gegenseitiger Rücksichtnahme zusammen. Erst in jüngerer Zeit bemerke ich, dass er mir bei manchen Angelegenheiten nicht mehr gehorcht. Er verweigert sich mir regelrecht in Situationen, in denen es zwischen uns zuvor nicht einmal den Hauch einer Meinungsverschiedenheit gegeben hatte. Also frage ich mich gelegentlich: will er etwas nicht oder kann er es vielleicht nicht mehr?
Wie ist es bei Ihnen?
Gehorcht Ihnen Ihr Affe? Oder haben Sie ihn vielleicht sogar nie erzogen und folgen einfach ihm?
Ja, ob Sie es glauben oder nicht, auch Sie haben solch einen Affen. Sie stecken – wie ich - in ihm drin und sind ohne ihn hilflos.
Stellen Sie sich einmal vor einen Spiegel, ohne all das Zeug, was Ihr Affe braucht, um seine Existenz zu kaschieren. Stellen Sie sich hin, ohne die schicken Klamotten, ohne die modischen Accessoires, ohne das beschönigende MakeUp. Und dann schauen Sie ihm in die Augen, Ihrem Affen!
Ob Schopenhauer an unser aller Affen gedacht haben mag, als ihm dieser Gedanke kam?
Der Mensch kann tun was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.
Denken Sie einmal nach, wenn Sie sich wieder einmal für etwas ganz Einzigartiges halten. Gewiss, das sind Sie, etwas ganz Einzigartiges, aber nur innen drin.
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Kommentare
"Er gehorcht mir nicht mehr"
Ein guter Denkansatz bzw. eine schöne Metapher: Das ICH sozusagen am Joystick im Kopf von Godzilla!